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10. August 2008, 23:06

Schimpfen an der Tagesordnung

Der Boden in unserem "Sommer-Dojo" darf nur mit einem speziellen Putzmittel gereinigt werden. Ein Kendo-Kollege hat mich darauf gebracht, dass dieses Putzmittel wahrscheinlich vom selben Hersteller kommt wie der Boden - dadurch wird eine Abhängigkeit vom Kunden erreicht, die mich spontan an das Getreide von Mozanto erinnert... oder an die heutige Wegwerfgesellschaft. Man ist dazu übergegangen, billige, minderwertige Waren zu kaufen anstatt qualitativ hochwertige, bei denen es noch Sinn macht, sie zu reparieren.

Noch ein Thema brennt mir unter den Nägeln: Nicht rein visuell orientierte Menschen werden in Zeiten des "müsste ich erst bestellen" immer weniger auf Ihre Kosten kommen. Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, möchte ich das Buch ansehen, angreifen - und vielleicht sogar daran riechen. Noch schlimmer ist das bei einem Möbel- oder Autokauf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein Möbelstück oder gar ein Auto kauft, das man nicht zuvor berührt - in dem man nicht zuvor gesessen hat.
Wenn mir eine bloße Abbildung genügen würde, um mich für den Kauf zu entscheiden, würde ich mir das Produkt online, über das Internet, bestellen. Dann würde ich die Buchhandlungen, Einrichtungshäuser und Autohändler nicht brauchen.

Einen hab ich noch! ;-)
Im Zug benötigten heute erwachsene, wahlberechtigte Menschen beinahe eine halbe Stunde, bis sie begriffen, dass der Zug nicht überbeladen weiterfährt, wenn also die, die keinen Sitzplatz haben, nicht aussteigen. Und das obwohl ein weiterer Zug gefahren ist - lediglich eine viertel Stunde später...

Nach dem ganzen Geschimpfe noch ein Faktum - zugegeben, eigentlich ja auch ein Geschimpfe, aber zumindest nicht von mir. Gelesen auf einer WWF-Werbung. Die Headline lautete "2008 haben wir Österreich verloren". Nachdem ich aus dem Auto - und den Augenwinklen - diese Botschaft mehrmals gelesen hatte, aber mir nicht so recht einen Reim darauf machen konnte, habe ich sie nun endlich in einem Magazin entdeckt. Dort konnte ich die Erklärung, sozusagen das Kleingedruckte, lesen. Jährlich wird der Regenwald um dieseleb Fläche wie Österreich dezimiert.

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Kommentare

11. August 2008, 00:05 der Zug und sonstig beschleunigte Illusionen

von: Sári

Zu schimpfen gäbe es wahrlich genug und ich meine doch, dass es ganz gut ist sich Luft zu verschaffen.

Es ist überraschend ernüchternd, wie konditioniert das Herdentier des Homo Sapiens ist. Man nehme eine automatische Rolltreppe außer Funktion. Sie ist ebenso eine Treppe, wie die Andere (noch eine Vollautomatische daneben und eine - Altmodische - aus Stein.) Der konditionierte Städler bleibt aprubt stehen, fühlt sich recht unwohl, dreht auf dem Absatz um und benutzt eine der anderen Treppen. Obwohl erstere - stehend - ebenso eine Treppe ist. Treppe ist also nicht gleich Treppe. Und wer sich schon mal auf eine nicht-fahrende Rolltreppe gestellt hat, kennt das unangenehm rebellierende Gefühl des Gleichgewichtsorgans, dass vor lauter Konditionierung nicht mehr weis, wie ihm geschieht.

Wer in einen Zug steigt weis: Hier gibt es 1. keinen Ausweg, 2. fahren folgende Züge meist recht viel später, 3. der Kampf um die Plätze beginnt. Das animalische "Ich" lebt und fühlt sich gar unwohl, bei derart schneller Beförderung. Das Objekt Zug, in dessen Inneren alles auf Schienen geleitet, auf sein Ziel zurast, ist ein recht zynisches Abbild des Alltags. Kein Wunder, wenn niemand aus dieser Illusion aussteigen möchte.

Um das Thema abzurunden, ein drittes Beispiel:
Eine Verordnung über den Kurzleinenzwang bei Hunden besagt:
"... Hunde sind in der Vegetationszeit von.. bis ... in der Nähe von unabgeernteten, landwirtschaftlich genutzten Flächen an der kurzen Leine von max. ... Länge zu führen..."
Dieser Terminus besagt, dass der Besitzer eines Hundes, diesen in der nähe von unabgeernteten, landwirtschaftlich genutzten Flächen, in einer gewissen Zeit, nicht frei laufen lassen darf.
Ironischer weise wird dieses Schild von den Gemeinden überall angebracht. Auch dort, wo keine solchen Flächen existieren. Das Ergebnis sind erwachsene Hundehalter, die sich gegenseitig lautstark beschimpfen, man solle den Hund an die Leine legen. In diesem idiotischen Theather meint plötzlich jeder, er sei eine art pseudo-Jurist und beruft sich auf Gesetzte, die er selbst nicht verstanden, geschweige denn jemals gelesen hat.

Niemand fragt sich, ob der Gegenstand, über den man streitet denn überhaupt eine solcher ist. Der illusioniert- ungebildete Mensch wendet sich gegen seine eigenen Artgenossen, anstatt gegen die Illusion selbst, die er wiederum nicht greifen kann, da er sie nicht als solche erkennt. Realität ist nicht, was wir daraus machen. Sie ist, was uns gegeben wird.

Fazit:
Die Illusion ist noch immer das Schönste, an dass man sich klammern kann. Wer die Illusion schafft, bestimmt die Richtung.