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24. August 2009, 12:22

Bedenk-liche Zeiten

von: Sári, www.naginata-austria.at

Was ist das Bedenklichste? Wie zeigt es sich in unserer bedenklichsten Zeit? Das Bedenkliche ist, dass wir noch nicht denken; immer noch nicht, obgleich der Weltzustand fortgesetzt bedenklicher wird.

(Quelle: Heidegger, Martin, was heißst Denken?, Tübingen 1984)

Am 5. August 2009 hatte ich am Heimweg von der Arbeit ein prägendes Erlebnis: Am Hauptbahnhof Linz, protestierten Jugendliche der SLP (Links Sozialistische Partei) gegen Rassismus und Widerbetätigung in der Politik, wie dem universitären Alltag.

Gegenständlich war dabei die Kandidatur der NVP (Nationale VP Österreich) bei den Landtagswahlen 2009 in Oberösterreich. (Mehr info: LINK). Das Ziel der Demonstration war, gegen den Einzug einer solch rechts gerichteten Partei in den Landtag zu demonstrieren.

Die Jugendlichen (in etwa 40 an der Zahl) saßen am Boden und hielten Fahnen und Banner in der Hand. Manche auch Transparente mit der Beschriftung: stoppt die Tierquälerei. Einige erwachsene Parteimitglieder begleiteten diese Veranstaltung, redeten ins Mikrofon, verteilten Informationen unter den Zusehern- und Hörern und suchten mit diesen das Gespräch. Alle Teilnehmer verhielten sich friedlich.

Bedenklich an dieser Veranstaltung war das Auftreten der vom Land Oberösterreich beauftragten Polizei. Es handelte sich dabei um eine Spezialeinheit von ca. zwanzig Beamten, die alle bewaffnet mit Schlagstock, Handschellen und Schusswaffen, ihrem Körperbau nach, den Eindruck machten als wären sie einem Actionfilm entsprungen. Die Beamten standen im Kreis um die Jugendlichen herum.
Mein Versuch, von einem Beamten aus erster Hand zu erfahren, zu welchem Zweck sie diese Demonstration begleiteten, schlug fehl. Der angesprochene Beamte würdigte mich keines Blickes, obwohl ich durchaus seriös angezogen war und auch der gebührenden Höflichkeit entsprechend meine Frage formulierte. Es war, als hätte ich einen Gegenstand gefragt; mit einer Wand geredet. Mit verschränkten Armen stand der Beamte weiter neben mir, blickte eisern vor sich auf die Demonstranten und zeigte keine Regung.
Ich habe den Beamten mit dem Satz verlassen: so viele Kinder - welche Gefahr geht von diesen Kindern aus, dass es so viele schwer bewaffnete von Ihnen braucht?

Nachdem ich diesem Schauspiel länger beiwohnte, kam ein älterer Herr der SLP auf mich zu, mit dem ich ein längeres Gespräch führte. Er erklärte mir, dass die Polizei nicht zu ihrem Schutz anwesend sei und er diese unverhältnismäßige Präsenz nicht verstehe. Der persönlichen Einschätzung des Herren nach, handle es sich dabei um einen exemplisch präventiven Einschüchterungsversuch des Landes gegenüber seinen Bürgern, um einer drohenden zivilen Eskalation angesichts der Wirtschaftskrise vorzubeugen, zur Ruhe zu mahnen. Als ich unsere Unterhaltung und den Ort verlies und mich umdrehte, merkte ich, dass hinter meinem Rücken sich zwei Polizisten aufgestellt und unser Gespräch verfolgt hatten.

Vielleicht ist manchen bereits die bunte Werbung aufgefallen, die man in diversen Kinozeitschriften und Plakaten findet. „Vorne ist, wo wir sind!“. So lautet der Slogan, mit dem das Bundesheer um Nachwuchs wirbt. „Die Polizei bekommt Verstärkung für mehr Sicherheit in Österreich“ lautet es auf Plakaten. Ich entnehme den Medien, dass Polizei und Bundesheer um tausende Stellen aufrüsten, nachdem sie vor nicht allzu langer Zeit mangels Finanzierungsmitteln Personal abbauen mussten. (Man erinnere sich u.a. auch an die Diskussionen um die Eurofighter, wie die Zusammenlegung der Gendarmerien mit der Polizei und dem damit verbundenen Personalabbau; aber auch das Verschwinden der Postfilialen ist merkwürdig). Was hat sich in diesen wenigen Jahren verändert? Unser Alltag wurde durch eine Wirtschaftskrise bereichert. Sollte da der logische Schluss nicht sein, dass der Staat weniger Geld zur Verfügung hat um weitere Beamte zu beschäftigen? Und warum fällt dieser Widerspruch niemanden auf? Wenn ich mir die Frage laut erlauben darf: Gegen wen rüsten „wir“?

Ein weiterer Vorfall der Vergangenheit, der noch gegenwärtig die Medien beschäftigt, ruft sich mir dabei in den Sinn: Der 16jährige, jugendliche Einbrecher, der von der Polizei erschossen wurde. Nach juristischer Definition gilt ein 16jähriger nicht mehr als Kind, er ist ein mündiger Minderjähriger.

Philosophisch, juristisch sowie praktisch aus dem Leben gegriffen, abverlangt der Staat von seinen Bürgern jedoch eine paradoxe Mündigkeit, die jene selbst mit der ihnen zugänglichen (und dank Bolongia immer schlechter werdenden Bildung) niemals erreichen können. Mündig erwachsen zu sein bedeutet, (Sokratisch gesehen) furchtlos zu sein gegenüber Gegnern, die stärker und mächtiger sind, aus persönlicher Gerechtigkeits- und Wahrheitsliebe heraus sowie mutig und aufrecht und frei zu sein.

Diese Fähigkeiten sollen ausgebildet werden durch Charakterschulung. Bis ein Mensch diese Fähigkeiten nicht erlangt hat, ist er unfrei, ergo unmündig, modern in unseren Zeitgeist übersetzt. Ob dieser Art von Persönlichkeitscharakter in unserer Generation noch häufig existiert, wage ich zu bezweifeln. Jedenfalls wird er seltener und was selten ist, erscheint unter den Vielen als fremd, seltsam, pathologisch nicht zur Gemeinschaft gehörig.

Menschen sind frei, wenn sie keine Angst haben. Wer kann behaupten, keine Angst zu haben, wenn suggeriert wird dass wir uns im Terror und Krisen befinden, um Arbeitsplätze und folglich um die finanzielle Existenz fürchten müssen, also Sicherheit dringend notwendig haben? Angst hält Unfreiheit aufrecht.

Geschlossen aus diesen kurzen Betrachtungen, ist demnach Beispiel zu fragen, inwieweit es verhältnismäßig ist, einen 16jährigen zu erschießen für eine Handlung, deren Tragweite und Bedeutung er selbst verstandesmäßig gar nicht erfassen hatte können. Und es gilt angesichts meines ersten Beispiels, der Demonstration am 5. August 2009, zu fragen ob es verhältnismäßig ist, jugendlichen Demonstranten eine derart bewaffnete Anzahl von Beamten gegenüber zu stellen.

Die Argumentation zugunsten der Polizei lautet: "Auch diese Jugendlichen können sehr gefährlich werden, viele von ihnen werfen mit Glasflaschen und anderen harten, scharfen und gefährlichen Gegenständen auf die Beamten, die nur ihren Dienst erledigen müssen und wollen."

Die Frage nach der Ursächlichkeit und der Aussagekraft, wie dem Sinn einer solchen Präsenz, bleiben dabei unbeantwortet. Erklärt ist mit dieser Argumentation auch nicht der logische Schluss der aus diesem Schauspiel folgt:
Bewacht und eingedämmt muss jenes werden, dass gefährlich und bedrohlich ist für ein System dass um seiner Selbst willen wirkt. Doch wie kann etwas gefährlich sein, das selbst unmündig ist?

Und letztlich bleibt noch die Frage offen, warum der Staat solche Angst vor seinen Kindern und Jugendlichen hat. Ist nicht der Staat der Urheber derer, vor denen er sich fürchtet?
Sind die Sätze „der Mensch bleibt der Menschheit schlimmster Feind“ oder der Leitspruch, den man Anfangs im Studium der Rechtswissenschaften lernt: „der Mensch ist dem Menschen ein Wolfe“ zutreffend? Sind wir Tiere? Wenn ja, ist der Gleichheitsgrundsatz zwischen ihnen und uns anzuwenden.

Oder sind wir vielleicht doch vernunftbegabt, dem Tier überlegen und der Weltzustand, der sich allmählich zuspitzt, wäre zu verbessern in dem ich mit einem weiteren Zitat von Heidegger M. schließen möchte:

Dieser Vorgang scheint freilich eher zu fordern, dass der Mensch handelt und zwar ohne Verzug, statt in Konferenzen und auf Kongressen zu reden und sich im bloßen Vorstellen dessen zu bewegen, was sein sollte und wie es gemacht werden müsste. Somit fehlt es am Handeln und keineswegs am Denken. Und dennoch – vielleicht hat der bisherige Mensch seit Jahrhunderten bereits zu viel gehandelt und zu wenig gedacht.

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